Das Ehegattensplitting muss weg, ein Familiensplitting her. Diese Forderung wird immer wieder von jenen als Allheilmittel gegen Steuerungerechtigkeit, Kinderarmut und Fachkräftemangel erhoben, denen die autarke Alleinverdiener-Familie schon lange ein Dorn im Auge ist, weil sie sich dem staatlichen Zugriff entzieht. Die hochqualifizierte, voll erwerbstätige Frau als unschätzbarer Wirtschaftsfaktor sticht die hochqualifizierte, in Vollzeit arbeitende Mutter als nicht wertgeschätztes Heimchen am Herd, das sich lieber um seine Kinder kümmert und nur halbtags arbeitet, als dem Arbeitsmarkt ihre dringend benötigte Arbeitskraft ohne Karriereknick und Einkommenseinbuße zur Verfügung zu stellen.
Das Ehegattensplitting, ein Relikt aus Zeiten, in denen die Welt noch nicht so bunt, sondern vom tristen traditionellen Familienmodell (Alleinverdiener-Vater-Mutter-Kind) geprägt war, ist also nicht mehr zeitgemäß und muss durch ein „modernes“ und „gerechteres“ Instrument ersetzt werden, das alle Lebensformen gleichermaßen berücksichtigt: durch ein Familiensplitting, von dem vor allem Alleinerziehende und Paare gleich welcher standesamtlichen Couleur profitieren sollen. „Familie ist, wo Kinder sind“, ließ 1998 die frischgebackene SPD-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann verlauten. Geht es nach dem Willen ihrer Partei, so gilt diese Feststellung bald nur noch so lange, wie die lieben Kleinen im Haushalt ihrer Eltern leben. Ziehen sie nach achtzehn Jahren aus, ist – im Gegensatz zu dem für gemeinsam veranlagte Eheleute lebenslang geltenden Splittingvorteil – Schluss mit dem Steuerparadies und jeder ist sich wieder nur selbst der Nächste, sozusagen ex-Elter 1 und ex-Elter 2.
Der im Grundgesetz vorgesehene besondere Schutz von „Ehe und Familie“ als auf Dauer angelegte Verantwortungsgemeinschaft? Geschenkt. Das genuine Interesse des Staates an möglichst stabilen, intakten und einkommensstarken Familien, die für sich selbst sorgen und ihm nicht mit Stützen jeglicher Art – Inanspruchnahme von teuren Krippenplätzen, Hilfen zur Erziehung, Wohngeld, BAföG etc. – auf der Tasche liegen? Geschenkt. Der dezente Hinweis darauf, dass das Ehegattensplitting für Alleinerziehende qua Definition und Lebenslage ohnehin nicht vorgesehen ist und es Paaren mit Kindern jederzeit frei steht, eine Ehe einzugehen, um in den Genuss des steuerlichen Splittingvorteils zu kommen? Auch geschenkt.
Das bis dato lebenslang geltende Ehegattensplitting dient dazu, große innereheliche Einkommensunterschiede, die sich aufgrund des oftmals jahrzehntelangen Verzichts eines Elternteils auf eigene Berufs-, Karriere- und Einkommenschancen zugunsten der gemeinsamen Kinder ergeben, auf Dauer zu kompensieren. Seine geplante Abschaffung reiht sich ein in frühere politische Maßnahmen, die bis heute den besonderen Schutz von Ehe und Familie aushöhlen. Einschneidend waren hier beispielsweise der massive Krippenausbau mit gleichzeitiger Individualisierung des Erwerbseinkommens und der Altersvorsorge seit 2007, gefolgt von der Novellierung des Familienrechts 2012, wodurch der nacheheliche Unterhalt zum Nachteil des langjährig Kinder erziehenden Elternteils drastisch beschnitten wurde.
Anstatt die Institution Familie weiter zu schwächen und die Rahmenbedingungen immer wieder an neue fragile „Lebensrealitäten“ anzupassen, die es ohne staatliches Lenken gar nicht in dem Maße gäbe, muss staatliches Handeln wieder auftragsgemäß den besonderen Schutz von Ehe und Familie in den Blick nehmen. Es ist Aufgabe des Staates, die auf Dauer angelegte „Keimzelle der Gesellschaft“ zu stärken, in welcher alle füreinander Verantwortung übernehmen und frei, selbstbestimmt und ohne staatliche Gängelung über ihr eigenes Wohl entscheiden können. Die Einführung eines zeitlich begrenzten Familiensplittings auf Kosten des Ehegatten-splittings ist dazu kein geeignetes Instrument und signalisiert pure Verachtung der familiären Lebens- und Erziehungsleistung. Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist somit ein weiterer Schritt auf dem Weg zur gnadenlosen Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft.
Regine Scheffer
Freiberufliche tätige Übersetzerin und Publizistin mit den Schwerpunkten Wirtschaft-, und Bildungspolitik. Sie ist Mutter von drei Kindern.
Dresden, September 2023